42 KLEIDERPORTRAITS #2 TEXT

KLEIDERPORTRAITS #2

42.01 KHAKI Harry Walter

Der Übergang von Krieg in Freizeit vollzieht sich selten nahtlos.

Das hier ausgestellte Uniformhemd ist eines der wenigen Objekte, die mein Vater aus dem Zweiten Weltkrieg ins zivile Leben hinüberretten und das einzige, das er auch weiterhin anstandslos verwenden konnte. Im Gegensatz zu den Orden, den Eisernen Kreuzen, Nahkampfspangen und Ehrenabzeichen, war dieses militärische Kleidungsstück auch unter den neuen politischen Verhältnissen noch tragbar. Seiner Hoheitszeichen entledigt, erinnerte das khakifarbene Hemd eher an Expeditionen in fernen Ländern als an die mit dem Begriff Braunhemden assoziierte Epoche.

Als Angehöriger der deutschen Luftwaffe war der ursprüngliche Träger dieses Hemdes an den von Italien aus erfolgenden Versorgungsflügen für das im Wüstensand kämpfende Afrikakorps beteiligt. Das südliche Einsatzgebiet be-deutete für den damals gerade Zweiundzwanzigjährigen, dass Palmen berührbar geworden waren. Im Gegensatz zu den unendlichen Schneewüsten des Ostens, in denen seine ursprüngliche Einheit, das 1. Schnellkampf-geschwader 210, nach erfolgreichen Einsätzen bei der „Luftschlacht um England“, im Februar 1942 praktisch restlos aufgerieben worden war, bildete der italienische Stiefel nun gleichsam das Sprung-brett in eine von exotischen Bildern besetzte und deshalb auch touristisch nachverwertbare Welt. Auch wenn dort, wo die Flugzeuge landeten, die Kamele durch Panzer ersetzt waren und die Luftspiegelungen reale Bombenlasten trugen, gab es doch immer wieder Momente, in denen die kleine militärische Zeltstadt ihren von Norden her eingeströmten Bewohnern den Eindruck vermitteln konnte, Beduinen unter Beduinen zu sein. Der gegen die Skorpione ums Lager gezogene, mit wertvollem Flugbenzin versorgte Feuergraben bildete den nächtlichen Stimmungshorizont für die mit Aben-teuerversprechen aller Art noch prall angefüllten Seelen. In dem riesigen, bis nach Ägypten reichenden Sandkasten konnte der Einsatz einer Schaufel tiefere Zonen erreichen als sonstwo auf der Welt. Wiewohl die ausgehobenen Sandmassen immerzu nachzurutschen schienen, war es den schweißgebadeten Männern doch möglich, ihre braungebrannten und mit Sand panierten Oberkörper wie eine zweite Haut zu empfinden, wie eine Panzerung gegen die speziell in der Wüste lauernde Gefahr der Aufhebung durch Verdunstung.

42.02 DER FRACK Peter Gülke

Mein Frack: das sind mehrere Fracks oder Fräcke – mindestens dreie oder viere im Verlauf von 40 Jahren zum Orkus gefahren, zerrissen, zerschlissen, zerschwitzt, durch eigentümliche weißliche Kringel-Linien verunziert, denen kein Waschmittel mehr beikam. Den Anfang machte, als ich erstmals Operetten nachdirigieren durfte, ein aus „westlichem“ Stoff gefertigter. Für diesen hatte ein fürsorglicher Onkel gesorgt, der vom Besten das Beste wollte, woraus ein schweres Kleidungsstück wurde, das auch einen Inuit über den arktischen Winter gebracht hätte – eine pädagogische Maßnahme insofern, als sie den übertriebenen Körperaufwand eines Dirigieranfängers mit entsetzlichen Schwitzkuren beantwortete. Kam hinzu, das zunächst Großvaters vergilbte Frackhemden aufgebraucht werden mussten mitsamt steifen, den Ansprüchen eines kaiserlichen Polizeipräsidenten genügenden Pappkragen, deren Ecken sich bei jedem energischen Einsatz mitleidlos in den Hals einkratzten. ...

42.03 DIE MITWACHSENDE HOSE Olga H.

Ich bekam die Hose zum Schulanfang in der ersten Klasse. Nicht in der Schultüte zwar, aber doch eindeutig extra zu diesem Ereignis. Nachdem ich mich mit einem charmanten Lächeln bedankt hatte, fiel mir bei näherem Hinsehen auf, dass sie doch noch um einiges zu lang war. „Ach, du wächst so schnell!“ sagte meine Mutter und legte die Hose in meinen Schrank. Ein paar Wochen vergingen und wenn ich an mir herunterkuckte, bemerkte ich kritisch, dass der nackte Streifen zwischen Socken und den Hosenbeinen meiner blauen Lieblingsjeans immer größer wurde. Der Winter kam und ich begann an besagter Stelle zu frieren. Doch trotzdem kostete es Stunden der Überzeugungsarbeit bis ich mich schniefend dazu bereit erklärte, mein bestes Stück an die kleine Cousine weiterzuschenken. Nun allerdings standen wir vor einem anderen Problem: Was sollte ich jetzt anziehen? Wir wühlten im Schrank und in dem Moment, als meine Mutter seufzend erklärte, dass nichts zu machen sei und wir wohl doch eine neue kaufen müssten, fiel mir die orangefarbene Blumenhose vom ersten Schultag in die Hände. ...

42.04 STOCKLOCKEN / SCHNEPPENTAILLE / CARACO Sigrid Schulze

Die Berliner Fotohistorikerin Sigrid Schulze hat die ausgestellten Fotografien auf der ganzen Welt zusammengetragen. Sie wurden zwischen 1839 und 1856 in Berlin aufgenommen Sie liefern Hinweise auf Formen der Selbstdarstellung wohlhabender Bürgerinnen im damaligen fotografischen Portrait und auf die Bedeutung von Kleidung, Schmuck und Pose. In einem ersten Schritt der Analyse werden die Bilder beschrieben. Dies hilft, Gestaltungsmerkmale der Bilder zu erkennen, möglicherweise sogar die Handschrift einzelner Fotografen. ...

Bildnis der Mathilde Jeanrenaud geb. Marquard als junge Frau in Halbfigur en face vor neutralem Hintergrund. Der Stuhl, auf dem die Dargestellte sitzt, und der Tisch links neben ihr verlieren sich in der Dunkelheit des Bildes. Wie das Oberteil des einfarbig dunklen Kleides sind die Ärmel mit Schleifen und breiten Bändern besetzt. Deutlich hebt sich die locker herabhängende Hand davor ab. Besonders auffällig ist die Frisur. Das mittig gescheitelte, bis zu den Schultern reichende feine Haar ist zu langen Stocklocken gedreht. Roland Schwarz (Dresden) sieht darin „vielleicht eine versteckte Hommage an die 1848 verstorbene Dichterin Annette von Droste-Hülshoff“. Eine Person mit Namen Mathilde Marquard gehörte, so Schwarz, zu einem Kreis von Schriftstellerinnen um Elise Polko (1823–1899), Elise von Hohenhausen (1789–1857) und Emmy von Dincklage (1825–1891), die in enger Beziehung zur Droste-Hülshoff standen. Der Name der Dargestellten, Mathilde Jeanrenaud aus Stuttgart, ist auf der Rückseite vermerkt. ...

42.05 JUSTINES MARIMEKKO Carl und Maria Auböck, Wien

Ein Interview

KH: Im Juni habe ich bei Ebay vier Marimekkokleider aus Ihrem Besitz ersteigern können. Am liebsten hätte ich alle dreißig gehabt... Woher kommen all diese Kleider?

CA: Teilweise stammen sie direkt aus Helsinki, teilweise von DR (design-research), einer US-amerikanischen Firma aus Boston und San Francisco , die verstärkt „Modern Style“ aus Europa verkauften. Manche Kleider kommen aus Wien, wo das Geschäft Otto Groh auch Marimekko neben Arabia Geschirr und neuesten anderen Designartikeln verkaufte.

KH: Warum hatte ihre Mutter – sozusagen für jeden Tag des Monats – ein Marimekko-Kleid?

CA: Weil sie und ihr Mann diese Kleider gut fanden, und wir Kinder dachten, dass es gar nichts anderes gibt.

KH: Warum hat Justine Auböck Marimekko so geliebt?

CA: Es sind praktische Kleider, aus einem sehr guten Stoff, das Design war für damalige Modevorstellungen sehr cool... der Werbeslogan war so ähnlich... „damit sie auch bei der Hausarbeit sehr gut aussehen“... unsere Mutter war keine Hausfrau, das Leben war voll mit Projekten und Arbeit, sehr engagiert, also hat sie speziell bei jeder Arbeit gut ausgesehen ...

42.06 ICH GEHE Jacqueline Otten / Katharina Tietze

Eine Bestandsaufnahme von Jacqueline Otten, aufgezeichnet von Katharina Tietze

Jacqueline Otten ist Designerin, sie ist in Holland geboren und aufgewachsen, war Professorin in Hamburg und leitet jetzt das Departement Design an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich. Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf ihren Abschied von Weimar. Sie war fünf Jahre Professorin für Moden und öffentliche Erscheinungsbilder an der Bauhaus-Universität und hier für ihre eleganten Stiefel bekannt.
Jacqueline Otten hat eine Auswahl von sechs Paar Schuhen getroffen, die auch den Titel tragen könnte: „Lebenswege“ oder „Gehen ist eine Kunst“. Sie setzt die Schuhe in Beziehung zu ihrer Biografie.

Das erste Paar, das ich herausgesucht habe, sind Schuhe mit einer Holzsohle. Das habe ich an dem Tag gekauft, als ich zur Professorin an der Fachhochschule in Hamburg berufen wurde. Es sind Schuhe von Dries van Noten, die fand ich damals toll, weil ich selbst Holzschuhe für meine Diplomarbeit entworfen hatte. Es war mein erstes Paar Designerschuhe, das ich mir im Vorgriff auf mein erstes Gehalt geleistet habe. Die Schuhe sind jetzt abgenutzt, die Sohlen sind erneuert, ich hab sie sehr oft getragen. Sie haben einerseits etwas holländisches, mit den Holzsohlen aber auch etwas archaisches und robustes. Holz ist ja auch ein Stabilitätsfaktor. ...

42.07 OH JACKIE! DAS PINKROTE COCKTAILKLEID AUS DER „VOLKSBOUTIQUE“ Anne Feuchter-Schawelka

Erstanden 1996 im Foyer des Stadtschlosses der Kunstsammlungen Weimar

Warum ich dieses Kleid aus der „Volksboutique“ von Christine Hill spontan wollte?

  1. Starke Farbe
  2. Könnte passen
  3. Billig, nur 6 DM
  4. Erinnerung an Jacqueline Kennedy, die frühen 60er Jahre, Brigitteheft und Burdamoden
  5. Irgendwie amerikanisch: schwerer Stoff, Schleifchen und puristischer Schnitt

Warum „Jackie“? Das Kleid ist:

  1. Ärmellos
  2. Knielang (fast schon Mini)
  3. ein „Cocktailkleid“

Wie schlich sich „Jackie“ in mein Bewusstsein ein?
Sie war die attraktivste „First Lady“ meiner Kindheit und seit ich in Illustrierten blätterte, permanent präsent. In meiner Erinnerung stand die kleine Präsidentengattin auf den Fotos stets stramm neben ihrem großen jungen Mann, dem Hoffnungsträger des Westens. Die 1000 Tage seiner Präsidentenzeit sind mir irgendwie im Unterbewusstsein verhaftet. Sein Tod 1963, festgehalten von Filmkameras und durchs Fernsehen übertragen, ist in meinen Gedächtnis gespeichert.

Staatstauglich für „Jackie“ wäre dieses pinkrote Kleid nur ergänzt mit weißen kurzen Handschuhen, weißem Täschchen, weißem Pillendosenhütchen, weißen Pumps und schwarzer Sonnenbrille gewesen. ...

42.08 40 KLEIDER Katharina Hohmann

42.09 WIE DIE JUNGS Katharina Tietze

Ein Winterwochenende Mitte Dezember 2005 auf der Karl-Marx-Allee in Berlin. Dort bin ich aufgewachsen. Die breite Allee mit der stalinistische Zuckerbäckerarchitektur ist meine Heimat, die Gegend aus der ich komme.

Ich gehe mit meinem Sohn spazieren. Zwischen Copyshop, Friseur und Apotheke haben sich auch ein paar neue Läden etabliert. Die CSA Bar und das Cafe Ehrenburg zum Beispiel. Die Karl-Marx-Buchhandlung hat die Wende überlebt, im angeschlossenen Antiquariat war ich schon als Kind mit meinem Vater. Gegenüber im selben Hauseingang zieht anscheinend gerade jemand ein, das Schaufenster ist voller Pappkartons. Seltsam ist nur, dass alle mit dem mir bekannten, aber absolut nicht zu diesem Ort gehörenden Schriftzug COMME des GARCONS bedruckt sind.

COMME des GARCONS, auf deutsch: „wie die Jungs“, ist ein japanisches Modelabel, gegründet Ende der 70er Jahre von der Designerin Rei Kawakubo. ...