06 UNMÖGLICHE KLEIDEROBJEKTE EINLADUNG


UNMÖGLICHE KLEIDEROBJEKTE
Christiane ten Hoevel

ERÖFFNUNG
SONNTAG, 12. MAI 2002

06 UNMÖGLICHE KLEIDEROBJEKTE TEXT

Christiane ten Hoevels Zeichnungen sind Denkaufgaben. Via Zeichnung versucht die Künstlerin, sich auf die Spur des Ungewissen zu begeben, lotet das Verhältnis von Realität und Fiktion aus. Realität ist die unumstößliche Welt der vorhandenen Gegenstände und Handlungsnormen; Fiktion ist die magische Welt der Utopie und der Grenzüberschreitung.

Für ihre Ausstellung „Unmögliche Kleiderobjekte“ hat Christiane ten Hoevel einen ca. 15 Meter langen, naturweißen Nesselstoff bearbeitet.

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  06 Unmögliche Kleiderobjekte

Christiane ten Hoevels Zeichnungen sind Denkaufgaben. Via Zeichnung versucht die Künstlerin, sich auf die Spur des Ungewissen zu begeben, lotet das Verhältnis von Realität und Fiktion aus. Realität ist die unumstößliche Welt der vorhandenen Gegenstände und Handlungsnormen; Fiktion ist die magische Welt der Utopie und der Grenzüberschreitung.

Für ihre Ausstellung „Unmögliche Kleiderobjekte“ hat Christiane ten Hoevel einen ca. 15 Meter langen, naturweißen Nesselstoff bearbeitet. In kreisrunden, etwa 20 cm Durchmesser großen in Filz gefassten Kreisen befinden sich auf dem für den Kiosk maßgeschneiderten, im Raum angebrachten Vorhang farbig applizierte Zeichnungen. Etwa 30 unterschiedliche Kleiderobjekte sind zu sehen, die teilweise durchaus einer etwas verrückten Realität entnommen sein könnten: Ein Hund trägt eine rote Maske, eine Frau eine Art Krone aus farbigen Pompons, ein Paar trägt eine Schulterpellerine, die beide Körper unter einem Stoffstück vereint. Manche der Kreise sind Löcher, die den Blick auf das Innere des Kiosk freigeben. Dort hängt, feierlich und zentral, ein burgunderrotes Kleid aus feinem Baumwollstoff, das mit schwarzen Bändern längs benäht ist. Diese schwarzen Streifen sind länger als das Kleid selbst und dienen so zur Aufhängung desselben im Raum. Es ist die Anmutung einer abstrakten Kleiderskulptur hinter dem Vorhang der Möglichkeiten. (K&K)

„Die Hütten und Häuser auf Birma sind keine richtigen Häuser, sondern eher Kleider. Sie sind aus Matten hergestellt – die Verflechtungen der Bambusrohre und Blätter, der Lianen und kleinen Holzstückchen haben die Anmutung (und die Anmut) von Nähten, von Knoten und von Bändern. Diese Hütten und Häuser sind leicht, außerordentlich leicht. Sie vermitteln nicht den Eindruck, dass sie haltbar sein müssen. Das brachte mich auf den Gedanken, dass die lächelnden Menschen von Birma keinen Zeitbegriff haben, keinen Begriff vom Erbe, das es zu bewahren gilt, und im Grunde auch kein Gefühl für den Raum als Grundbesitz. Das Haus ist für sie ein graziöser Gebrauchsgegenstand: ein Kleid, das man wechselt oder auseinandernimmt – vielleicht, um es herumzudrehen, damit es neu aussieht, oder um es ein Stück zu kürzen.

Die Hütten auf Birma sind ein wenig offen und ein wenig geschlossen, wie die Menschen dort, die ein wenig sprechen und manchmal dabei nichts sagen, die ein wenig gesehen werden wollen, ohne gesehen zu werden, die sich enthüllen, indem sie Kleider anziehen... Sie machen keinen Lärm, sie rascheln nur so wie Wäsche in einem Koffer; und man bekommt ernsthaft den Eindruck, dass diese Hütten im Grunde nur Koffer sind, leichte Koffer, die das Rascheln enthalten. Wenn man weggehen will, schließt man den Koffer und geht. Vielleicht rollen sie die Matten zusammen, vielleicht ist es unterhaltsamer in einen anderen hellen Wald zu gehen, wo die Räume begrenzt sind – begrenzt von Blättern und Fäden und Wassertropfen und Licht, erfüllt vom kaum wahrnehmbaren Rascheln beim Schneiden und Spalten des Bambus, von den Geräuschen der Hände beim Flechten, Knoten und Nähen. Wollt ihr wissen, wie die Mädchen aus Birma heiraten? Wenn ein junger Mann und ein birmanisches Mädchen in ein Haus gehen und die Nacht in diesem Haus verbringen und wenn sie ihre Kleider außen auf das Fenstersims legen, dann sind sie am nächsten Morgen verheiratet. Für immer. Dieses Volk also verrichtet die wichtigsten und größten Handlungen, als wären es Seifenblasen – Handlungen, für die wir Trikolorenschärpen, Altäre, Zentner beschriebenen und gestempelten Papieres, Ausweise, Pässe, Stempel brauchen. In Birma hängen sie ihre Kleider aus dem Fenster und sind verheiratet.“

Text aus: Ettore Sotsass „Adesso peró“, Rom, 1993