K&K ZENTRUM FÜR KUNST UND MODE

Vor der Kunst des Zuschneidens steht die Bestandsaufnahme. Während der Körper in der Fertigkleidung in Größentabellen mit konfektionierten Maßproportionen erfasst wird, nimmt der Schneider individuell Maß. Er formuliert die Dreidimensionalität des Kundenkörpers in Zahlen, die meist weit von dem Ideal entfernt sind, an dem Modeschöpfer sich orientieren. Das Maßband dient dazu, die realen Zahlenwerte eines Körpers zu ermessen, um anschließend die Kleidung so zu formen, dass sie sitzt und Unzulänglichkeiten entgegenwirkt.

Andererseits steht der Körper selbst als formbares Objekt zur Disposition. In diesem Fall dient das Maßband als Mittel der Kontrolle: dem Sportler, Bodybuilder, Model, der Schwangeren oder Magersüchtigen. Die ästhetische Chirurgie verwandelt Fleisch und Haut durch Auspolsterungen, Abnäher und Nähte zu einem Kleidungsstück und trägt mit schwarzem Stift auf nackte Haut ihr Schnittmuster, ihr Schneidkonzept, auf. Denn was nützt mir Prada, wenn ich aussehe wie eine Wurst. Mode wird vor allem für den schön gebauten Körper gemacht. Wird die urbane Kurzbotschaft: Kleidung! in den Smok gesendet, sollte nicht nur das Label stimmen, sondern auch die Taillenweite den Brustumfang nicht überflügeln. Das Shrink to fit gilt dem Körper selbst, nicht nur der Jeans. Das eine Kontrollinstrument ist die Waage, das andere das Maßband. So hetzt man dem Ideal hinterher, obwohl sogar das Supermodel rät: Versuchen Sie nicht, so auszusehen wie Cindy Crawford. Sogar ich sehe nicht aus wie Cindy Crawford.

Die Frage also ist: Haben Sie eine gute Haltung oder einen guten Schneider? Oder: Ist es wahr, dass Marilyn, die Monroe, Brustnachbildungen mit Warzen ins enge Kleid über den BH schob, damit es so wirke, als trüge sie keinen? Der Schneider bleibt bei den Leisten seines Handwerks, umschlingt Taille und Gesäß und notiert ungerührt, was Sache ist. Bauch einziehen rächt sich. Für die Schrittlänge darf sich der Kunde selber zwischen die Beine fassen, ansonsten stehe er gerade mit dem Gewicht auf beiden Beinen und rieche bitte nicht zersetzend nach organischem Material. Man kommt sich sehr nahe beim Vermessen: der Schneider und der Herr.

Kathrin Krumbein