WHY ARE THE STRIPES RED, WHITE AND BLUE?
Juliane Heise
ERÖFFNUNG
FREITAG, 11. JULI 2003
„Das erinnert mich an Norwegen, an die norwegische Flagge.“
„Das sind doch diese Türkentaschen.“
„Das kenne ich vom Strand an der Ostsee, als Windschutz.“
„In Marokko auf den Märkten hängen die auch.“
„Plastic fantastic!“
Jeder kennt sie, mancher benutzt sie und anderer blickt missbilligend auf sie herab; sind diese blau-weiß-rot gestreiften Taschen doch konnotiert mit Armut und Flucht, bestenfalls Reise.
„Das erinnert mich an Norwegen, an die norwegische Flagge.“
„Das sind doch diese Türkentaschen.“
„Das kenne ich vom Strand an der Ostsee, als Windschutz.“
„In Marokko auf den Märkten hängen die auch.“
„Plastic fantastic!“
Jeder kennt sie, mancher benutzt sie und anderer blickt missbilligend auf sie herab; sind diese blau-weiß-rot gestreiften Taschen doch konnotiert mit Armut und Flucht, bestenfalls Reise. Vermehrt am Flughafen oder am Bahnhof und auf Dachgepäckträgern Richtung Autoput zu sehen, vorstellbar auch auf dem Deck von Flüchtlingsschiffen, sind sie Zeichen des Transit. Von hier nach dort gefüllt mit Hab und Gut funktionieren sie als Migrationscontainer unbestimmter Herkunft und Destination. In allen möglichen Größen zu kaufen sind sie in Europa eher in small und in medium erhältlich. Trotz ihres bei voller Auslastung enormen Gewichts sind keine Schulterriemen vorhanden. Die Tasche hält zusammen, was drinnen ist, ein Fußmarsch aber scheint nicht beabsichtigt. Die Taschen fahren – auf dem Motorrad in Hanoi, auf Schiffen über See oder beim Umzug innerhalb von Berlin. Billig sind sie. Warum aber sind sie rot, weiß und blau? Die nationale Zuordnung zumindest scheint nicht intendiert. Die unförmigen Taschen sind grenzenlos und keine Nation scheint sich ihrer Strategie zur Besetzung öffentlicher Räume bedient zu haben.
Auf einer ihrer Reisen nach Vietnam im Jahre 1998 begann die Künstlerin diese Taschen als textile Elemente und als Werkstoff zu entdecken und als künstlerisches Material einzusetzen. Indem sie daraus Kleider nähte – den AO-Dai, die Nationaltracht der Vietnamesen – und diese von einem vietnamesischen Paar an unterschiedliche Orte tragen ließ, verortete Juliane Heise das globale Zeichen der Reise – die Taschen – … in Vietnam. Es eröffneten sich neue Identitätsfragen für Stoff, Träger und Raum. Abstrahiert von den Taschen wird der mit ihrem Werkstoff bekleidete Körper selbst zum transitorischen Gut, zum inkorporierten Wertstück. „Alles, was ich habe, bin ich selbst.“ Vielleicht aber adelt die Tracht auch das Material und gibt ihm damit ein neues Wesen. Die Orte, an denen Juliane Heise ihre Protagonisten fotografierte, sind ganz unterschiedlicher Natur: Mit kommunistischer Fahne und Ho-Chi Minh im Rücken erklärt sich der Streifenlook feierlich zur neuen Nationaltracht. Im Garten des Kriegsmuseums wirkt das undurchlässige Material eher wie eine Schutzuniform. Vor einem Wassertempel stehend, sieht das Paar aus wie zwei Urlauber im Regenmantel und auf der großen Freitreppe kommen einem plötzlich wieder die Taschen in den Sinn. „Egal ob in Thailand, Singapur oder Vietnam, überall dient es als improvisierte Behausung, als Regenschutz, Bauplane, Hängematte oder Markise. Zurück in Deutschland begegnete mir das Material plötzlich in Bewegung. In Form von Taschen wurde es an mir vorbeigetragen. Ausschließlich Taschen. Das war auf Märkten, aber vor allem an Orten, die mit dem Reisen zu tun haben, Bahnhöfen, Straßen und Flughäfen. Es sind Menschen im Transit, die mir mit diesen Taschen begegnet sind, Händler, Migranten und Touristen, die ihre Waren, Mitbringsel und Sachen in diesen leichten, strapazierfähigen und vor allem billigen Taschen von A nach B bringen“, kommentiert Juliane Heise. Der Weimarer Kiosk aber – K&K – wird in seiner neuen Bekleidung – blau, rot und weiß – zu einer großen Tasche zwischen hier und anderswo.