PORTEMONNAIES
Katrin Solansky
ERÖFFNUNG
SONNTAG, 11. MAI 2003
Das Portemonnaie ist einer der wenigen Alltagsgegenstände, den wir ständig bei uns tragen. Zumeist im Verborgenen, verweilt es in den Taschen unserer Kleider, in Rucksäcken und Handtaschen, bis es zum Gebrauch seines Inhaltes für kurze Zeit ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt. „Das Portemonnaie sichert das Geld nicht nur durch seinen Verschluss, sondern auch dadurch, dass man es in seiner Form und seinem Gewicht unaufdringlich spürt“ (Hannes Böhringer). Auf der Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Privatem veräußert und bewahrt es nicht allein Geld, sondern auch Ausweise und Karten, ...
Das Portemonnaie ist einer der wenigen Alltagsgegenstände, den wir ständig bei uns tragen. Zumeist im Verborgenen, verweilt es in den Taschen unserer Kleider, in Rucksäcken und Handtaschen, bis es zum Gebrauch seines Inhaltes für kurze Zeit ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt. „Das Portemonnaie sichert das Geld nicht nur durch seinen Verschluss, sondern auch dadurch, dass man es in seiner Form und seinem Gewicht unaufdringlich spürt“ (Hannes Böhringer). Auf der Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Privatem veräußert und bewahrt es nicht allein Geld, sondern auch Ausweise und Karten, Telefonnummern, Merkzettel, Briefmarken und kleine Andenken oder Passbilder. Es ist die Hülle um ein Inneres und zugleich Körper selbst, da es sich im alltäglichen Gebrauch mit der Zeit dem Körper anpasst. Das Portemonnaie wird so zum Körperabdruck, zum Zeugnis, das Lebens- und Umgangsweisen seines Besitzers offenbart. Die Spurensuche beginnt mit dem Entdecken kleinster Veränderungen in Farbe und Form wie den eingerissenen Ecken einer Männergesäßbörse oder dem defekten Reißverschluss.
Die Sammlung erlaubt den Blick auf einen entwerteten Gegenstand, denn die meisten Geldbörsen stammen vom Rohstoffhandel in Weimar – Dürrenbacher Hütte und Wippach-Edelhausen – wo der Müll des Grünen-Punkt-Systems aufgearbeitet wird. Die rund 500 Objekte der Sammlung sind in Fundverzeichnissen archiviert, analysiert und katalogisiert. In der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Spuren und dem Material wird der Widerspruch zwischen Serialität und Individualität erfahrbar. Die Masse der Geldbeutel gewährt einerseits einen Einblick in das Konsumverhalten unserer Gesellschaft: Sie sind selbst Ware, Accessoire, Konsumobjekt. Andererseits aber sind die Geschichten der gesammelten Objekte unserer Vorstellung überlassen. Was wir ihren Gebrauchsspuren entnehmen, gibt Auskunft über ihre Besitzer und deren persönlichen Umgang mit Werten, über Geschmack, Alter, Herkunft. Die Portemonnaies sind so historische Zeugnisse gelebter Individualität; sie dokumentieren das Vergehen von Zeit, indem die Spuren ihrer Zweckfunktionalität in sie eingeschrieben sind. Im Kiosk werden die Fundstücke – neutral ausgestellt und zurückgekehrt an einen ehemaligen Verkaufsort – wieder zur Ware. Nachdem der Geldverkehr weltweit zu über 90 Prozent immateriell stattfindet – nämlich über ec-Karten und virtuelle Transaktionen im Online-banking – ist das Portemonnaie ebenso aussterbendes Reptil wie der Kiosk selbst: Solange es sie aber noch gibt, bleiben die beiden über den Kauf einer schnellen Zeitung und eines Schokoriegels am Kiosk verbunden.
Die Sortierung erfolgt nach formal ästhetischen Gesichtspunkten, nach Label und Design sowie nach individuellen Zeichen und persönlichem Inhalt.
Die Musterkollektion. Durch die Vielzahl der Objekte befinden sich in der Sammlung fast vollständige Kollektionen, die mit dem Warensortiment in Lederwarengeschäften vergleichbar sind, allerdings vom Fließband des Rohstoffhandels stammen.
Die Gleichen. Portemonnaies mit gleichem Design, aber unterschiedlichen Gebrauchsspuren. Bei aller Vielfalt der farblichen, formalen und historischen Differenzen wird besonders an den gleichen Exemplaren deren Verschiedenartigkeit sichtbar.
Die Werbebörsen. Portemonnaies als Werbegeschenke.
Die Gesäßbörsen. Durch den täglichen Gebrauch findet unbewusste Formgebung statt, indem sich die Geldbörse in der Hosentasche den Formen des Körpers anpasst.
Die hinterbliebenen Fotos. In zahlreichen Portemonnaies befinden sich erstaunlicherweise noch Familien- und Passfotos, persönliche Zettel, Todesanzeigen.
Die Souvenirs. Das einmalige Urlaubserlebnis wird in Form der Geldbörse zum Erinnerungsträger.
Die Musterpersonalausweise. Verwunderlich ist, dass diese selbst bei jahrelangem Gebrauch der Geldbörse nicht entfernt wurden. Die Musterdrucke gibt es in unterschiedlichen Ausführungen.
Die Portemonnaies wurden im Januar 2003 für drei Tage im Neuen Museum Weimar gezeigt. Im März waren sie in Berlin Teil der Ausstellung flotsam & jetsam, im Kunstraum Kreuzberg / Bethanien.
K&K / Katrin Solansky