25 SCHNITT EINLADUNG


SCHNITT
K&K

ERÖFFNUNG
MITTWOCH, 8. OKTOBER 2003

25 SCHNITT TEXT

Am Anfang war’s ein Stück Papier, vielleicht auch nur die Vorstellung davon: eine imaginäre Fläche ohne bestimmte Materialität. Aber flach und transparent, ohne jegliche Textur und oder Struktur sollte es schon sein. Eine Tabula rasa, ein unbeschriebenes Blatt. Ein alles ist möglich. Dann Schnitt, Cut: „Schnitt! Der Begriff trägt etwas Endgültiges, Irreversibles in sich. Thanatos beendet schneidend das Leben, der Chirurg vielleicht das Leiden, dem heutigen Cineasten wird das fiktive Leben beschnitten. (Kerstin Kraft, Schnittmuster in form + zweck, Berlin, 1998)

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  25 Schnitt

Am Anfang war’s ein Stück Papier, vielleicht auch nur die Vorstellung davon: eine imaginäre Fläche ohne bestimmte Materialität. Aber flach und transparent, ohne jegliche Textur und oder Struktur sollte es schon sein. Eine Tabula rasa, ein unbeschriebenes Blatt. Ein alles ist möglich. Dann Schnitt, Cut: „Schnitt! Der Begriff trägt etwas Endgültiges, Irreversibles in sich. Thanatos beendet schneidend das Leben, der Chirurg vielleicht das Leiden, dem heutigen Cineasten wird das fiktive Leben beschnitten. (Kerstin Kraft, Schnittmuster in form + zweck, Berlin, 1998)

Der Schnitt ist im Sinne einer Vorstufe zur Entwicklung von Kleidung als wiederholbarem Produkt erst um 1000 nach Chr. belegbar. Gemäß mittelalterlicher Weltauslegung schnitt man zuvor die Kleider in der Grundform des Kreises zu, in die der Körper schon immer „eingetragen“ war. Und damit begann die Individualisierung des Kleidungsstücks. Der snit bedeutet seitdem Zuschnitt von Kleidern. Zuvor bezog sich der Schnitt auf Messer, Säge und Sichel, auf Ernte und auf Wunden.

„Die Rektion des Verbes ‚schneiden’ im Mittelhochdeutschen zeigt, dass der Zuschnitt von Kleidern sich von Anfang an am Körper des Trägers orientierte: das Kleid wurde ihm angeschnitten.“(ebd.) „Mode wurde nicht gewebt oder genäht, sondern zugeschnitten. Schon im 12. Jahrhundert war hier die französische Art schnittführend. Über die Form der Schnitte wurde übrigens in epischer Form kommuniziert. Die sog. Schneiderformen höfischer Epik erzählen davon und sind somit Vorläufer von ‚Vogue‘ und ‚Elle‘“.(ebd.)

Schnittmuster werden heute zum Heraustrennen in unterschiedlichsten Variationen in diverse Frauenzeitschriften aller Welt integriert. Interessant wäre es, die Internationalität von Schnittmustern zu ergründen: Funktioniert ein chinesisches Wirrwarr aus Linien sprachlos? Sprechen afrikanische Schnittmuster eine globale Sprache? Im Schnittmuster jedenfalls steckt die Verallgemeinerung der ehemals individuellen Körperformen und paradoxerweise somit die Re-Individualisierung der Trägerin selbst. Ein ausgefallenes Kleidermodell, das sonst niemals auf der Stange zu finden gewesen wäre, wird nun vorstellbar. Und das auch noch im Stoff der Träume, selbst gewählt und in der Stoffabteilung bei KaDeWe erfühlt. Das Traumkleid kann nun in eigener Größe hergestellt werden, je nach Nahtzugaben von (deutscher) Größe 34 bis 48 erweiterbar. Der Schnitt war auch Thema einer Sommerausstellung im Momu, dem ein Jahr alten Mode Museum in Antwerpen. Die Ausstellung mit dem Titel: Patronen (holl. Schnittmuster, engl: Patterns) zeigt auch im (sehr schönen!) dazu erschienenen Katalog, dass den raffiniertest wirkenden Kleidern die einfachsten Schnitte zugrunde zu liegen scheinen: Eine elegante Hemdbluse von Azzedine Alaia besteht beispielsweise nur aus einem großen abgerundeten Segel mit präzisen Einschnitten. Eine fast römisch wirkende Spange hält diese moderne Toga aus leichtem, weißem, organzaähnlichem Stoff vom Sommer 2002 zusammen. Auch Yohji Yamamotos Schnitt eines weißen Unterkleides mit schwarzem Überkleid besticht durch reduktionistische Einfachheit: insgesamt vier (mal 2) Rechtecke und zwei kleinere rechtwinklige Elemente sind Grundlage eines absolut experimentell wirkenden und technoid mit Nähten überzogenen Kleides mit zwei völlig unterschiedlichen Ansichten: dem schildartig wirkenden schwarzen Vorderteil und dem engen weißen Unterkleid, streng geschlitzt mit Reißverschluss vom Nacken zum Po.

Wir zeigen anhand eines Schnittes aus der SIBYLLE von 1987 einerseits, wie sich aus einem kryptischen Schnittplan ein Kleidungsstück entwickelt, und andererseits, welchen Spielraum die jeweilige Schneiderin dann hat. Die verschiedenen Arbeitsschritte: Zuerst werden die einzelnen Schnittteile durchgeradelt und damit auf ein anderes Papier übertragen, dann werden diese ausgeschnitten und als Schablonen auf dem ausgewählten Stoff festgesteckt. Dabei ist zu beachten, dass der Stoff im Bruch liegt, alle Teile also zweimal zugeschnitten werden und der Fadenlauf entsprechend der Vorgabe ist, letzteres ist besonders bei gemusterten Stoffen sehr wichtig. Dann wird der Stoff zugeschnitten, wobei die Nahtzugabe nicht vergessen werden darf, meist ein Zentimeter und an Säumen etwas mehr, das steht in der Anleitung. Die zugeschnittenen Teile werden versäubert, damit sie später nicht ausfransen. Dann werden die Nähte mit Stecknadeln gesteckt oder geheftet und später gesteppt. Zwischendurch ist eine Anprobe möglich, die Passform kann überprüft und entsprechend verändert werden. Zum Schluss wird das Kleidungsstück sorgfältig gebügelt. In unserer Kollektion machen wir diesen technologischen Prozess zum Thema. Ein Schnittplan als grafisches Muster, Schnittteile als T-Shirt-Print (das T-Shirt ist ja aus dehnbarem Stoff und daher schnitttechnisch unergiebig, dafür als „Plakat“ umso geeigneter), ein fragiles Teil aus Kindertaschentüchern, eine Korsage mit überlangen, gezackten, nach außen gewendeten Nahtzugaben und ein kleines Schwarzes mit Schneiderkreide signiert.