41 KLEIDERPORTRAITS #1 TEXT

KLEIDERPORTRAITS #1

41.01 DIE MAOJACKE Peter Ott

Auch in einer befreiten Gesellschaft werde ich immer zu einer Minderheit gehören.

Die Dresscodes der „Jugendbewegung“ habe ich eigentlich immer gehasst und die Jahre, in denen ich nicht vermeiden konnte, mich ihnen zu unterwerfen, gehörten zu den unglücklicheren meines Lebens. ...

Etwa 87 brachte mir meine Mutter aus China die hier ausgestellte Jacke mit, sie ist mithin 18 Jahre alt. Ich trage sie seitdem immer mehr und etwa seit 5 Jahren im Sommmer ausschließlich, bei der Arbeit, in der Freizeit und auf gesellschaftlichen Anlässen (wenn diese Unterscheidung bei mir auch nicht wirklich sinnvoll ist).

Diese Jacke wurde sehr oft (bei 60° und mit vollem Schleuderprogramm) in der Waschmaschine gewaschen. Machen Sie das mal mit einem 1000 € - Jackett von Versace. Diese Jacke sieht aus wie neu. Nicht nur, weil sie gut verarbeitet ist und weil es ein sehr guter Farbstoff sein muss. Sie sieht nämlich nicht nur aus wie neu, sie ist es. Und sie wird es immer bleiben. ...

41.02 ÜBER UNTERSCHICHTEN Mercedes Bunz

Eines Tages, so etwa gegen Ende der Neunziger, rutschte die Hose aus der Taille auf das Becken. Jungs trugen den Po ihrer Baggypants ja schon seit einiger Zeit in den Kniegelenken, jetzt konterten die Mädels im Spiel der eingeleiteten Absenkungstendenz. Zunächst wurden Jeans ohne Bündchen in, dann senkte sich schließlich die gesamte Jeans gefährlich dem Genitalbereich entgegen. Die Hüfthose trat ihren Siegeszug an. Herkömmliche Jeansschnitte waren mit einem Mal nicht mehr klassisch, sondern altmodisch und ließen einen aussehen, als ginge man zu Karneval als Cowboy. Der epistemische Bruch in der Hosenkultur war unübersehbar. Die klassische Trennung in Unterteil und Oberteil gab ihren Geist auf. Es halft wenig, den Gürtel enger zu schnallen, auch wenn einem das alle naselang als vermeintliche Rettung postuliert wurde. Die Hosen rutschten runter, die Pullover blieben jedoch so kurz wie sie waren und zwischendrin fand sich entblößt eine undefinierte Mittelschicht, die bis heute frierend der kalten Realität harrt, in welche sie durch die Krise geworfen wurde. ...

41.03 PARKA. EIN VERSUCH Roger Behrens

Was ist ein Parka? Was heißt Parka? Was bedeutet Parka? In meinem Duden-Fremdwörterbuch von 1966 (2. Auflage) ist das Wort noch nicht verzeichnet. In der fünften Auflage von 1990 findet sich: „Parka … knielanger, oft mit Pelz gefütterter, warmer Anorak mit Kapuze.“ In eckigen Klammern ist vermerkt „eskim.“, die Abkürzung für Eskimoisch; neben Dänisch ist das Amtssprache in Grønland. Das eskimoische Wort für Mensch ist Inuit; es gibt in dieser indianischen Sprache kein Wort für Krieg (Eskimo selbst heißt „Rohfleischesser“). Das ist bemerkenswert, weil der Parka in Europa und Amerika ja vor allem als Militärbekleidung bekannt wurde. Parka dürfte zusammen mit Anorak und Kajak zu den seltenen aus dem Eskimoischen abgeleiteten Wörtern in den europäischen Sprachen gehören („Parka“ dt., englisch, französisch; ›parca‹ spanisch und portugiesisch. ...

Der Parka: Ein exotisches Kleidungsstück, der Schutzmantel der Moderne. ...

41.04 SCHNITT UND SCHNITTE Gabriele Rothemann

K&K: Du zeigst die Schnittteile einer Jacke, was ist das für eine Jacke und warum zeigst Du sie in ihren Einzelteilen?

G.R.: Es ist eine ganz gewöhnliche Jacke und den Schnitt habe ich deswegen ausgesucht, weil er als Schnittbild am schönsten funktioniert. Es ist eine Jacke, die in der Steiermark für eine größere Firma produziert wird. Ich habe Größe 34 gewählt, die kleinste, weil die Teile in ihrer zusammen gesetzten Fläche am einfachsten zu handhaben sind.

K&K: In der Anordnung sind einige Teile mit einer Nummer versehen, was sind das für Nummern?

G.R.: Die Nummern stehen für die Näherinnen, denn es sind Sozialversicherungsnummern nach dem österreichischen System. Hinter jeder dieser Nummer steht eine menschliche Existenz. Aus der Nummer gehen alle persönlichen Daten hervor: Erwerb, Pensionsanspruch, Anzahl der Kinder, Krankheiten, etc.

K&K: Es gab vor einigen Jahren eine Debatte, die auch durch das Buch „No Logo“ von Naomi Klein ausgelöst wurde und die die Bedingungen, unter denen in der Textilindustrie gearbeitet wird, anprangert. Beziehst Du Dich mit Deiner Arbeit darauf?

G.R.: Ausgangspunkt meiner Arbeit war meine Erfahrung in Sweatshops in Los Angeles.
Schon seit 15 Jahren plane ich eine Arbeit mit Schnittmustern. Damals wollte ich einen Stadtplan von LA auf Grund der Schnittmusterteile erstellen. Es war fast nicht möglich, in diese Sweatshops hineinzukommen, denn auf Grund der dortigen, nicht zulässigen Arbeitsbedingungen werden die Näherinnen mit Waffen abgeschirmt. Auch war ich bei der Union (Gewerkschaft), die für die Näherinnen zuständig ist, aber auch diese konnte mir kaum weiterhelfen. Es war letztendlich nicht möglich, diese künstlerische Arbeit zu realisieren. ...

41.05 DER TOTEN HOSEN Friedrich Tietjen

Mir war es eine lange Weile so vorgekommen, als sei es ungewöhnlich, Erinnerungen am Körper aufzutragen, aber dann fragte ich gelegentlich herum und fast alle hatten irgendetwas behalten, und dass mich der Kleiderschrank eines toten Freundes und Patienten soweit ausstattete, dass ich außer Socken und Unter-hosen zwei Jahre lang kein Kleidungsstück kaufen musste, war allenfalls quantitativ ungewöhnlich: Schals habe ich von meinem Großvater und der Mutter einer Geliebten, schwere Wollpullover vom Schwieger-vater einer Freundin, dazu Hosen und Jacken eines Freundes und das obszöne T-Shirt eines anderen Patienten, bei dem ich einen heißen Sommer lang arbeitete.

Meinen Großvater ausgenommen steht mir keiner der Toten als Lebender deutlich vor Augen, aber auf der Strasse würde ich sie erkennen und erkenne jedenfalls ihre Kleidungsstücke unter denen, die ich selbst kaufte. Und ziehe sie an. Kein auch nur entfernt gerührtes damals stellt sich ein, auch kein Schaudern des Erinnerns an wächserne Gesichter und halbgeschlossene Augen über hohlen Wangen, nur eine Präsenz der Personen, die ohne die Kleidungsstücke so nicht zustande käme, eine Präsenz, die sich den Tag über meist in Unterströmungen verliert und unscharf wird, so unscharf, wie die Erinnerung an gekannte und geliebte Personen werden kann. ...

41.06 DAS FEIGENBLATT Frank Hiddemann

Das Blatt der Eselsfeige (Ficus sycomorus) sieht aus wie eine fünffingrige Hand. Wenn sich Adam und Eva im biblischen Buch „Genesis“ Schurze aus Feigenblättern machen, ist die Kleidung noch ganz Geste. Der Griff, der die Schamteile vor Blicken schützt, wird metonymisch das Blatt, das die erste Kleidung darstellt.

Nach dem Sündenfall und vor der Strafe steht die Erfindung der Kleidung. Gott hatte in vier Tagen die Erde erschaffen mit Wasser und Himmel, Feste und Sternen. Am fünften Tag machte er sich an die Tiere. „Es wimmle das Wasser von lebenden Wesen“, sprach er, „und Vögel sollen fliegen über der Erde an der Feste des Himmels.“ Auch die Erde brachte lebende Wesen hervor, kriechende Tiere und Wild des Feldes. Und Gott sah, dass es gut war. ...