BOOK OF LABELS
Manuel Fabritz
ERÖFFNUNG
SONNTAG, 28. APRIL 2002
Fritz von Klinggräff: Gegenstand deiner Sammlung sind Labels auf 140 Fotos von Einnähern in Hemden, Hosen, Textilien verschiedener Art und Herstellungsweise. Was war dein Ausgangspunkt?
Manuel Fabritz: Aus den Labels im Kleiderschrank einer bestimmten Person lässt sich das unbewusste Porträt einer Person entwerfen. In meiner Kindheit hieß das Label dementsprechend noch Etikett. Nicht Einnäher, sondern Etikett. Mein Interesse konzentriert sich auf die Labels, die im Hosenbund verborgen sind, im Kragen, in der Seitennaht.
Fritz von Klinggräff: Gegenstand deiner Sammlung sind Labels auf 140 Fotos von Einnähern in Hemden, Hosen, Textilien verschiedener Art und Herstellungsweise. Was war dein Ausgangspunkt?
Manuel Fabritz: Aus den Labels im Kleiderschrank einer bestimmten Person lässt sich das unbewusste Porträt einer Person entwerfen. In meiner Kindheit hieß das Label dementsprechend noch Etikett. Nicht Einnäher, sondern Etikett. Mein Interesse konzentriert sich auf die Labels, die im Hosenbund verborgen sind, im Kragen, in der Seitennaht. Es muss sich also nicht unbedingt um ein Label handeln, sondern kann auch eine Mini-Gebrauchsanweisung sein.
FvK: Warum interessieren dich diese fast unsichtbaren Labels mehr als die Aufnäher und Aufdrucke, die öffentlich zur Schau gestellt werden?
MF: Wegen der Gebrauchsspuren. Meist ist es so, dass diese Labels spezifische Körperspuren aufweisen. Besonders interessant sind dabei die Labels in den Innennähten, weil sie vom Körper zusätzlich geformt werden: quasi in einer Art Reliefbildung, die durch den Körper unbewusst vollzogen wird. Man sieht, wie das Label durchs Waschen, Tragen zerknittert und verschlissen wurde: Es bilden sich dabei die besonderen Knicke in dem Einnäher, die Nähte drücken sich von unten auf eine prägnante Art und Weise hinein, die Farben verändern sich mit den Jahren. Absichtlich kriegst du das nicht hin. Das entsteht durch das permanente Reiben und Pressen am Körper. Das lässt sich auch nicht nachahmen.
FvK: Labels und Logos, also Marken, arbeiten normalerweise am persönlichen Image…
MF: Mit dem persönlichen Image hat das wenig zu tun. Hier geht es um Körperarbeit und nicht um Persönlichkeit. Gebrauchsspuren zeigen Auflösungserscheinungen, körperliche Abreibungen am Label. Bei den Einnähern aber geht das häufig ineinander über. Mich interessiert, inwiefern diese Spuren das Logo selbst betreffen, also bis hin zum Schriftzug. Auch hier gibt es durchaus eine sinnliche Qualität. In ihrem Auflösungsprozess gewinnen die Logos ein wunderbares Eigenleben. Sie werden einzigartig. Abgelöst von jeder Intention entsteht da mit den Jahren des Körperkontaktes ein Bild.
FvK: Dein Zugang ist der des professionellen Designers.
MF: Ja. Man sieht, mit welchem Aufwand diese Labels hergestellt werden. An diesen winzigen, fast unsichtbaren Textilien arbeiten wochenlang ganze Teams. Selbst bei banalen Label wie „Screen Star“ bleibt der Aufwand wahnsinnig hoch. Auch in diesem Fall setzt sich jemand hin und designed das Logo einschließlich Produktanforderungen auf Miniformat, bestimmt die Größe, die Beschaffenheit, die Qualitätsmerkmale.
FvK: Bilden die Gebrauchsspuren eine zweite Signatur über dem Logo?
MF: So kann man das sagen. Dies findet sich natürlich auch teilweise schon in den Logos selbst angelegt: „Martin Margiela“ näht bewusst nur ein leeres weißes Stück Stoff in seine Kollektionsteile. Damit verweigert er sich der Logomanie und verweist zurück auf das Kleidungsstück. Und „Yohji Yamamoto“ signiert seine Kleider wie ein Künstler, allerdings sind diese Unterschriften natürlich in Serie gefertigt. Der Gebrauch hingegen produziert lauter Singularitäten. Erst in seinem Gebrauch wird das Label zu einem einmaligen Objekt. Aber diese Patina des Singulären erreichen wiederum nur die gut gefertigten Produkte. Dazu braucht es Zeit. Nur wenn der Einnäher mit der gleichen Sorgfalt gefertigt ist wie das Produkt, das er markiert, hat er auch seine Lebensdauer. Minderwertige Produkte zerfallen vorher. Hier liegt übrigens auch der Grund für diesen Ausstellungsort, den Weimarer Kiosk. Meine Dokumentation macht nur auf der Schwelle von Kunst zu Mode ihren Sinn.
Das Gespräch führte Fritz von Klinggräff.